Man nannte mich Miró

*  15. August 1998
kreuz 8. Februar 2009

Mein Leben erwachte an einem sonnigen Augusttag und es endete an einem bitterkalten Tag im Februar.

Dazwischen verstrichen mehr als zehn Jahre.

Was in dieser Zeit geschah, erzähle ich Euch jetzt.

Man nannte mich „Miró“. Man gab mir aber auch noch viele andere Namen. Nette und weniger nette.

  • Peppenkummer.

  • Einauge.

  • Dicker.

  • Schwein.

Ich habe die Bedeutung all dieser Namen verstanden. Sie hatten alle einen tieferen Sinn, über den es noch zu berichten gilt. Einzig und allein der wahre Sinn meines eigentlichen Namens hat sich mir nie erschlossen. Miró? Wieso Miró? Lese selbst...

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Als die ersten Sonnenstrahlen durch die luftigen Wände der alten Scheune fielen, lag der Hof noch in tiefen Träumen. Nur Karlo der stolze Hahn war schon auf den Beinen und versuchte die Welt durch sein Krähen aufzuwecken. Als die Sonne mich wach kitzelte, merke ich, dass sich etwas verändert hatte. Aus der Dunkelheit in der ich 10 Tage gelebt habe wachte ich auf. Am Anfang hatte ich noch etwas Mühe, aber nach ein paar Minuten konnte ich meine Umgebung auch sehenden Auges wahrnehmen. Was ich sah, war wunderschön. Unser Domizil war aus Heu gebaut und die Sonne schien auf uns herab. Ich konnte meine wunderschöne Mutter sehen und meine hungrigen Geschwister, wie sie bereits eifrig beim Frühstücken waren. Na ja, der schnellste war ich noch nie, aber mir war sofort klar, dass ich mich jetzt beeilen musste, um nicht zu kurz zu kommen. Also machte ich mich auf den Weg zu meiner Mama, um noch eine Zitze abzubekommen, bevor die Milchbar geschlossen war.

mirobalou

Recht satt und sichtlich zufrieden machte ich mich erst einmal auf, den Hof zu erkunden. Meine Geschwister taten es mir gleich. Meiner Mutter hat dies gar nicht gefallen und sie versuchte ständig uns wieder in unser Nest zurückzuholen. Sie hatte Angst um uns, aber was sollte schon passieren. Wir waren doch dort oben auf dem Heuboden sicher.

Viele Tage vergingen so und wir spielten und tollten zusammen im Heu, inspizierten den Heuboden und wurden dicker und dicker, dank der guten Muttermilch. Ab und zu kam eine riesige Frau vorbei und einige Kinder, die meine Mutter aber sehr gut zu kennen schien. Sie schlängelte sich um deren Füße und ließ sich von ihnen kraulen. Da meine Mutter keine Angst vor diesen Leuten hatte, waren auch wir sorglos und ließen uns untersuchen, von ihnen auf den Arm nehmen und spielten mit ihnen.

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Nach ein paar Wochen dieses Abenteuerlebens verließ unsere Mutter mit uns den Heuboden und wir lernten den Rest des großen Hofes kennen. Das war vielleicht spannend. Da gab es große bellende haarige Hunde, riesengroße Pferde, Enten, Hühner und noch viele von unserer Sorte. Alle waren nett zu uns und wir hatten bald viele Freunde und viel Spaß.

Eines Tages, es war so gegen Abend, kam ein Auto in unseren Hof gefahren. Eine Frau und ein Mann stiegen aus und kamen zu uns herüber. Alle meine Geschwister sind erst mal in Deckung, weil wir diese Fremden ja nicht kannten. Ich überlegte kurz und fasste spontan den Entschluss, dass dieser Mann mein bester Freund werden sollte und kletterte mir nichts dir nichts auf seinen Arm und blieb dort sitzen. Der Mann streichelte mich und sprach beruhigend auf mich ein, ich hatte gar keine Angst. Auch als der Mann mich zusammen mit einem meiner Brüder in einen Korb packte hatte ich keine Angst.

Wir wurden in das Auto gepackt und los ging die Fahrt. Da war mir dann doch etwas mulmig zumute und ich maunzte aus Leibeskräften oweh, oweh. Mein Bruder, der eigentlich viel lieber bei unserer Mutter bleiben wollte maunzte mit mir um die Wette.

Ob wir gerne mitgegangen sind? Wer will das schon entscheiden. In jedem Fall kam uns die Fahrt wie eine Ewigkeit vor, aber irgendwann hatten wir es dann geschafft.

Das Monster

Was uns dann erwartete, damit hatte keiner von uns Beiden gerechnet. Die Tür ging auf und uns stand ein Dinosaurier? oder war es ein Drache? - auf jeden Fall war es riesengroß, schnaubte vor sich hin und hatte langes, braun-weißes Fell - gegenüber. Wir gingen natürlich umgehend in Abwehrstellung. Haare gestellt, Krallen ausgefahren, das super Fauchen aufgelegt. Katzenbuckel gemacht - wow, sahen wir groß aus. Gut - gegenüber dem Monster... Und was macht dieses Monster? Es leckt uns von oben bis unten mit seinem Sabbermaul ab. Was soll man da noch machen? Drowning on dry land! Also ließen wir es über uns ergehen und machten das Beste daraus. Das Gute war, dass das Monster immer eine Heizdecke mit sich trug. Und so kuschelten wir uns immer Mal wieder zusammen und das Monster hielt uns warm und machte uns dabei auch noch sauber.

Heile Welt

So da waren wir also angekommen. Dies sollte also unser neues Zuhause sein, na von mir aus. Nach dem Leben auf dem Heuboden hatte so eine Heizdecke und ein ständig gefüllter Napf auch so seine Vorteile. Gut, wir durften nicht mehr draußen rumtollen, wie wir wollten, aber dafür gab es lecker "Pute in Sauce" und "Seefisch in roter Sauce", unsere Leibspeisen. Wobei ich nur auf den Fisch stand und Balou die Pute bevorzugte. Aber all das sollte sich bald ändern, aber dazu später mehr. Erst einmal genossen wir unser Leben in vollen Zügen. Wir waren jung und ungestüm und hatten uns beide zum Schmusen und Spielen. Balou war mein graßes Vorbild. Ich, eher der ängstliche Typ, wartete immer erst mal ab und ließ Balou den Vortritt. Er war einfach der Mutigere von uns beiden und hatte vor nichts Angst.

So halfen wir dann auch fleißig im Haushalt mit wo wir nur konnten. Wir legten Laminat, schraubten Regale an, halfen beim Lernen, halfen beim Abhängen der Vorhänge...eben was man so kann. Wir wollten uns ja nützlich machen, schließlich gefiel es uns ganz gut in unserem neuen Zuhause und wir wollten gerne bleiben.

Und es war Sommer...

...wir waren die Helden. Wir hatten tierischen Spaß zusammen. Wenn wir müde waren lagen wir uns in den Armen und schliefen selig auf unserem super Lammfell. Als wir einige Zeit bei den Dosis waren durfen wir sogar raus in den Garten, natürlich unter Aufsicht. Da war es noch viel toller und aufregender als im Haus und in der Sonne liegen war unsere Lieblingsbeschäftigung. Wir waren zwei echte Rabaucken, kletterten auf unseren Baum, eine Magnolie, und liefen durch duftendes Gras. Wir versteckten uns unter Büschen und machten Wettrennen, mit uns und den Dosis ;-).

An manchen Tagen fiel es mir etwas schwer, mit Balou mitzuhalten. Ich war dann öfter müde und schlecht gelaunt, aber die Dosis dachten sich nichts dabei.

So lebten wir beide unbeschwert zusammen und waren die besten Kumpel. Bis zu jenem Sonntag im April. Ich weiß es noch genau, es war der 11. April 2000 und das Wetter an diesem Tag war schön, aber es war kalt draußen. An diesem Tag feierten die Menschenkinder in der Stadt auch ihre Kommunion, so auch unser Nachbarskind.

Balou und ich waren draußen zum spielen im Garten. Mittlerweile waren wir ja groß genug, um auch mal alleine raus zu gehen. Wir spielten, was wir immer so spielten, fangen, verstecken und irgendwann war Balou verschwunden. 

Ich dachte mir erst mal nichts dabei und lief zu den Dosis zurück ins Haus um mir bein Frühstück mein Stück Schinken abzuholen. Die Dosis wunderten sich zwar, dass ich alleine war, dachten sich aber auch nichts sonderlich dabei, weil Balou ja immer der Wildere von uns war und schon mal alleine auf die Pirsch ging.

Irgendwann fingen sie aber dann doch an zu suchen, weil er einfach nicht mehr reinkam. Ich half natürlich fleißig mit und rief ihn aus Leibeskräften, aber es hatte keinen Zweck, er war und blieb verschwunden. Erst als Nachmittags der Nachbar bei uns klingelte, ahnten wir schreckliches.

 

Anfang und Ende sind geschrieben. Der Rest der Geschichte folgt. Sei gespannt.

 

Am darauf folgenden Tag ging es mir noch schlechter. Ich hatte entsetzliche Schmerzen und konnte mich nicht mehr bewegen. Keine Hilfe in Sicht. Ein langer, entsetzlich langer Tag.

Am Abend kamen meine Menschen nach Hause. Sie sprachen mit mir. Ich solle es gut machen. Leicht gesagt.

Ab in die graue Kiste und ein weiteres Mal zu meinem Freund mit dem weißen Kittel. Ob er mir auch heute helfen kann? Besorgte Gesichter allenthalben. Ein Stich und ich schlief tief und fest ein. Und ich hatte einen seltsamen Traum. Ich lag wieder in „meinem“ Arm. Von weitem hörte ich jemanden weinen. Das kam mir irgendwie bekannt vor. Dann wurde mir kalt.

Als ich erwachte, war es sonnig hell und mollig warm. Ich war wieder Zuhause in meinem Garten. Ich war erstaunt, denn ich hatte keine Schmerzen mehr. Dieses Erstaunen wich aber alsbald einer unbändigen Freude. Hatte ich nicht vor vielen Zeilen „nie wieder“ geschrieben. Nun sah ich ihn doch wieder.

Meinen Bruder.

Balou…

milano